Heimatverein Egestorf e.V.

Das Rittergut Evendorf

 

Gänzlich ungewöhnlich für die Heide ist das aus den Stätten 1, 2 und 5 entstandene „Rittergut Evendorf". Zu dieser Zeit hatte der ‚arme Lehrer' das Gut Amelinghausen gekauft und auch das für Egestorf so bedeutungsvolle Gut Holm war in bürgerliche Hände übergegangen. 1848, nachdem er durch die Ablösung seiner Pflichten von der Kirche zu Raven ‚auf ewige Zeiten' Eigentümer des mehr als 870 Morgen (Anm.: 4 Morgen = 1 Hektar) großen Hofes Nr. 1 (Lührs) geworden war, verkaufte der letzte Namensträger Lüer, dessen Vorfahren seit vor 1450, vielleicht sogar schon seit dem Festwerden der Nachnamen, auf dem Hof als hörige Erbpächter saßen, an Frau Henriette Stubbendorf. 1849 kann ihr Mann, der Mecklenburgische Güterpächter G.J.G. Stubbendorf auch den 772 Morgen großen Hof Nr. 2 (Hoyers) , erwerben. 1851, jeweils mit einer ausgezeichneten Eigenjagd ausgestattet, veräußern die Stubbendorfs die billigst erworbenen, selbst für einsame Heidegegenden großen Höfe für 25.200 (Nr. 1) bzw. 13.800 Taler (Nr. 2).


Evendorf wird zum Mekka Mecklenburgischer „Güterschlächter". Die an Leibeigenschaft gewöhnten Großagrarier vermochten mit der niedersächsischen Mentalität nicht fertig zu werden. Da er „ausländische" Häuslinge (z.B. Katholiken aus dem Eichsfeld) einstellte, fühlten sich die Einheimischen in ihrer Freiheit bedroht, wie der Schulmeister schreibt. Wunderschön ist dessen Charakterbeschreibung der Heidjer: „Gutmütig, immer zu harmlosen Späßen aufgelegt, gelegentlich auch recht derb, lässig in Ackerbau und Viehzucht, friedfertig mit großem Korpsgeist. Fünfzig Jahre gab es keine Feindschaft im Dorf. Wenn sie sich schon mal auf die Nase hauen, geschieht das im Übermut, nicht aus Feindschaft."

 

Dazu passte genau der Salzhäuser Allerweltsunternehmer Schneefuß, der zeitweise die ebenso große Nr. 3 (Michaelis) erwarb und von Evendorf aus durch eine Pferde-Omnibuslinie die Verbindung zur großen Welt herstellte. Die Stutenfrauen des Salzhäuser Weißbäckers brachten alle 4-6 Wochen mit einem Stoß Zeitungen die allerneuesten Sensationen in die Heide. „Die Häuser sind alt und schlecht und alle noch mit ‚Eekenboltentünen' umgeben und noch nicht mit Steinmauern wie in anderen Dörfern. Beim Dorfsood wird Lehm zum Selbstbrennen gewonnen. An den wassergefüllten Teichen schlagen die Nachtigallen". Glücklicherweise misslingt die geplante Anlage einer Spritfabrik.

 

Der Rechtsanwalt Schlüter erwirbt die zwei Höfe 1858 für seinen Sohn. Aus seinem bisherigen Wohnort Schwarmstedt bringt er eine bereits dort vorhandene Rittergutsmatrikel ein, die automatisch mit einem Sitz im Landtag verbunden war. Das war der Einzug der hohen Politik ins kleine Heidedorf. 1888 kann der Rittergutsbesitzer Schlüter sein Gut um 348 Morgen der ehemaligen Kirchenkothe Nr. 5 (Töters) vergrößern. Ab 1895 bewirtschaftet der Schlütersche Schwiegersohn Hümme den Hof mehr schlecht als recht. Ab 1889 werden Klee und neue Gräser angebaut, obwohl die Einheimischen warnen „Mergel macht reiche Väter, aber arme Söhne" und von der Undankbarkeit des Heidebodens gegen Mergeln reden, wird ein Versuch unternommen.


1903 verkauft er den 2.050 Morgen großen Hof für nun 175.000 Mark an Bernhard Lucanus. Der versuchte daraus einen Musterbetrieb für Schafzucht und Kartoffelvermehrung zu machen. In Zusammenarbeit mit einem anderen Betrieb in Dachtmissen verbesserte er durch gezielte Zuchtauswahl und Einkreuzen spanischer schwererer Böcke die heimische Schnuckenzucht. Er setzte das um, was Pastor Lentin aus Egestorf bereits mehr als 100 Jahre vorher vorgeschlagen hatte. Das Rittergut wurde renommiertes Lehrgut. Brasilianische Grafen, Norweger und Russen ‚lernten hier um', selbstverständlich gegen gehörige Zuzahlung und machten die weiblichen Lehrlinge wild!

 

Sehr zum Leidwesen des auf jede zusätzliche Mark angewiesenen Dorflehrers ließ er seine Kinder durch Privatlehrer unterrichten. Im preußischen Dreiklassenwahlrecht, wo die Stimmen nach der gezahlten Steuersumme zugeteilt wurden (in der Talerzeit gab es pro 5 Taler Steuern eine zusätzliche Stimme, aber auch ein Dorfarmer musste je einen Tag gespeist und die entsprechenden Meter Straße ausgebessert werden), hatte Lucanus mit 31 Stimmen die absolute Mehrheit im Gemeindeparlament ohne je davon Gebrauch zu machen. Das war in den anderen Dörfern der Heide nachweislich nicht anders. Durch die vielen benötigten Handwerker und Häuslinge stieg die Zahl der Dorfbewohner von 1848 bis 1900 von 97 auf 177.

 

1912 ließ er am 1910 angelegten Bahnhof 70 Morgen Heide mit dem Dampfpflug umbrechen. Dabei kamen unzählige vorgeschichtliche Urnen zutage. Große Aufregung herrschte 1917, als mitten im Krieg der Sohn eines Einwohners mit dem Flugzeug auf dem Kahlenberg landete, um einen Heimatbesuch zu machen. Nach dem Krieg konnten durch Landverkauf der Nr. 3 eine ganze Reihe von Abbauern ihren Betrieb vergrößern. Ab 1922 gab es auch in Evendorf elektrisches Licht, 1924 den ersten Motorpflug, daneben Mäh- und Dreschmaschinen sowie Kartoffelhaspeln. 1923 wurde der Friedhof angelegt. Nach der Inflation verlor der Sohn Lucanus die Lust an „soviel Wind hinterm Haus" und begann zu verkaufen. Das repräsentative Gutshaus mit 528 Morgen kaufte W. Sauer für die heute geradezu lächerlich erscheinende Summe von 55.106 Mark. Auch der Gauleiter Telschow sicherte sich eine Eigenjagd von 388 Morgen. Der Großteil des Landes wurde in Rentengüter aufgeteilt:

Gräper 15 ha, Lange 8 ha, Lütker 11 ha, Völker 10 ha, H. Wulze 19 ha, H. Lütge 15 ha, A. Wulze 18 ha, Voss 14 ha, Mundt 12 ha, Stamer 14 ha, dazu noch einige Flächen an Anliegersiedler und auswärtige Bewerber.
Dr. Friedrich Wilhelm Reineke
(Chronik Egestorf – Ein Heide-Kirchspiel, 1995)

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