Heimatverein Egestorf e.V.

Abgaben der Bauern in früheren Jahrhunderten

Der Zehnt

Der Zehnt bzw. Zehent war eine Art Grundzins, der in Form von Naturalien oder Bargeld entrichtet wurde. Er bezeichnet eine etwa 10-prozentige Steuer in Form von Geld oder Naturalien an geistliche oder weltliche Institutionen, z. B. Kirchen, Klöster, Grundherren, Könige. Diese Abgabe war bereits im Altertum bekannt und über das Mittelalter bis in die frühe Neuzeit üblich.
Der Egestorfer Heimatforscher Kantor Heinrich Schulz berichtet in der Chronik von Schätzendorf (1949) sehr ausführlich über die Zehntherren und den Zehnten in diesem Ort. Während es hier sechs verschiedene Grund- oder Gutsherren gab, hatte er nur einen Zehntherrn. Das war auf jedem Hof und jeder Kötnerstelle der Abt des Lüneburger Michaelisklosters, dem das Obereigentum an dem Schätzendorfer und Ollsener Zehnten im Jahr 1333 vom Bischof in Verden geschenkt wurde. Man unterschied zwischen dem Kornzehnten (alles was vom Acker geerntet wurde außer Flachs und Hanf, der nach der Verarbeitung zum Schmalzehnten gerechnet wurde) sowie dem Schmal- und Fleischzehnten. Von dem gehaltenen Vieh zählten Fohlen, Kälber, Lämmer Ferkel und Hühner zum Fleischzehnten, auch Bienenvölker unterlagen der Zehntung. Der Rott- oder Rodezehnte wurde von dem urbar gemachten Neuland gezogen, gehörte aber nicht dem Abt sondern dem Amt Winsen, also dem Landesherrn. Die Zehntscheune für Schätzendorf und Ollsen befand sich auf dem Degenhof.


Über die Abnahme des Kornzehnten bestanden bestimmte Verordnungen, u. a. durfte der Bauer vor Abholung des Zehntkornes sein Getreide nicht einfahren, er musste auch rechtzeitig melden, wenn das Korn in Stiegen stand und wann die Ernte eingebracht werden sollte. Die Zehntpflichtigen konnten den Zehnten auch selber pachten, dann bezahlten sie in „reinem Korn“, vom Mehl wurde im Backofen des Degenhofes Brot gebacken und nach Lüneburg gebracht.
Den Fleischzehnten zog man um „Peter und Paul“ (29. Juni). Dazu erschien der Amtmann der Abtei mit seinem Schreiber und zwei Knechten im Dorf. Im Koven (Stall) neben der Zehntscheune wurde das Zehntvieh untergebracht. Auf dem mit Wasser und Sand gescheuerten eichenen Tisch auf der Dönz verzehrten „die Herren“ ihre mitgebrachte kalte Küche, u.a. gebratene Rinderkeule mit Brunnenkresse und einem Stübchen (4 Liter) Rheinwein. Die Knechte wurden im Flett des Hofes verpflegt. Für diese Extraleistungen war der Degenhof frei vom Schmalzehnten.


Bei der Ziehung des Fleischzehnten gingen „die Herren“ von Hof zu Hof, von je zehn Lämmern wurde eines gezogen. Über den Vorgang berichtet Kantor Schulz: „Als eine eigenartige Erscheinung bemerken wir in den alten Verzeichnissen, dass die Schafherde in den einzelnen Höfen - um es mit einer modernen Wendung zu sagen - bereits einer Art Kollektiv-bewirtschaftung unterlag. An der Herde hatten nicht nur der Bauer und die Bäuerin, sondern auch die Altenteiler, Kinder und das Gesinde ihren Anteil, und von jedem Teilnehmer wurde um den 29. Juni bei der Zehntung das zehnte Lamm verlangt. Bei dem, der keine zehn Lämmer hatte, konnte die Abgabe bis zum nächsten Jahr oder bis die Zahl zehn voll oder überschritten war, verschoben werden. Betrug war dabei nicht möglich, weil ja über den Bestand jedes einzelnen Teilhabers genau Buch geführt wurde.“
Ferkel zog man nicht, „der Bequemlichkeit wegen wurde auf Geld gesetzet“. Für jedes aufzuziehende Kalb gab der Bauer ein Geldstück. Gänse und Hühner wurden in natura gezogen, wobei von den Hühnern immer nur eines genommen wurde, Kötner gaben auch ein Huhn. Für die anderen Tiere zahlten die Bauern Geld. Die Schweinezucht war zu dieser Zeit ohnehin sehr gering, da das Futter fehlte, es gab noch keine Kartoffeln und Steckrüben, Roggen wurde zum Backen benötigt.


Die Ziehungen wurden vom Schreiber genau erfasst. Die Aufzeichnungen fanden in einem Gemisch von Latein und Plattdeutsch statt. Platt war bis zum Ende des 15. Jahrhunderts nicht nur die ausschließliche Sprache in Stadt und Land ganz Niederdeutschlands, sondern auch die Schriftsprache.

Die nachfolgende wahre Geschichte zeichnete Kantor Schulz auf. Diese und weitere Sagen und Märchen aus unserer Region gab er in den 1930er Jahren an den Heimatforscher Wilhelm Marquardt weiter, der sie zusammen mit seinen eigenen Aufzeichnungen veröffentlichte. Sein Sohn Walter Marquardt hat diese noch einmal überarbeitet und 2010 auf plattdeutscher und hochdeutscher Sprache erneut herausgebracht, mit der Veröffentlichung ist er einverstanden.

Heern Mudders Huhn
In der kleinen Kate der Schätzendorfer Hirten lebten stets sehr arme Leute. Sie besaßen nicht viel mehr als ihren kleinen Kohlgarten und das nackte Leben. Sie waren so arme Kirchenmäuse, dass sie auch keine Abgaben an die Obrigkeit in Lüneburg leisten mussten. Eines Tages nun, es war genau der 8. April 1710, kam bei der Hirtenkate der Klostervogt von Meding aus Lüneburg hoch zu Ross angeritten. Er verlangte Wilhelm Kröger zu sprechen, der üblicherweise „Heern Vadder“ genannt wurde. „Wilhelm Kröger, morgen erscheinst du auf dem Amt in Lüneburg zwecks einer Aussage!“ Der Vogt schnarrte den Befehl herunter und war im Nu wieder fort. „Was mögen die von uns wollen?“ fragte Kröger seine Frau. „Ach, Vater, die wollen doch nur wieder ein Huhn von uns haben, das wir gar nicht besitzen!“


Weil Heern Vadder schon alt und gebrechlich war, machte sich seine Frau auf den weiten Weg nach Lüneburg - zu Fuß, versteht sich. Nach sechs Stunden Marsch stand die Alte schließlich mittags um elf Uhr von dem hohen Klosterherrn. Was hatte die Dorfhirtin für Herzklopfen, als sie vor dem vornehm uniformierten Adligen stand. Herr von Meding war aber doch ein freundlicher Mensch und fragte: „Warum ist dein Mann nicht gekommen? Er sollte mir doch Antwort geben!“ „Ja, Herr Ausreiter, das stimmt. Aber mit unserem Vater geht es bald zu Ende. Er ist schon so schwach, dass er nicht einmal mehr aus dem Dorf zur Kirche nach Egestorf gehen kann.“ „Warum habt ihr in diesem Jahr das Rauchhuhn nicht bei eurem Bürgermeister abgegeben? Ihr habt, wie ich es gestern selbst in Augenschein genommen habe, eine eigene Kate!“ „Gewiss, Herr Ausreiter, wir haben eine eigene Kate. Aber das ist auch schon beinahe alles, was wir besitzen. Draußen im Kohlgarten haben wir Steckrüben und Grünkohl, im Haus drinnen haben wir vier Stühle, einen Tisch und die beiden Schlafbutzen. Im Stall steht eine Ziege. Mehr besitzen wir nicht!“ „Ihr habt keine Hühner?“, wollte der Klostervogt nun wissen. „Ja, doch, aber die vier Hühner laufen über Grund und Boden anderer Leute. Sie fressen sich bei den Bauern durch. Aber so lange unser Vater und ich in der Kate leben, haben wir niemals ein Rauchhuhn abgeben müssen.“ Nun musste de Amtsschreiber in den Akten der Jahre 1670 bis 1680 nachsehen, in welchem Umfang die Dorfhirten in Schätzendorf abgabepflichtig waren. „Krögersche, hier ist tatsächlich nichts zu finden. Du hast Recht! Dann soll es auch so bleiben! Du kannst gehen!“
Auf dem Heimweg hatte Heern Mudder es eilig. Sie wollte rasch nach Hause, um beim Abendessen mit einem Krug Ziegenmilch auf den Erfolg anzustoßen. „Es ist unser heiliges Recht, und es wird immer so bleiben! Wir müssen kein Rauchhuhn geben!“

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